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#23 Interview mit Julia Berschick und Felicitas Horstmann

„Gesundheitsförderung im Setting Hochschule hat großes Potenzial!”

Gesundheitsförderung im Setting Hochschule zu verankern ist eine der Aufgaben des Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverbandes e.V. (adh). Julia Berschick, studentisches Vorstandsmitglied, und Felicitas Horstmann, Projektleitung Gesundheitsförderung, erläutern die Vorteile von Sport und Bewegung beim Studieren.

Julia Berschick (Vorstandsmitglied, links) und Felicitas Horstmann (Projektleitung Gesundheitsförderung, rechts) vom adh e.V.
© adh e.V.

 

Der Dachverband der Hochschulsporteinrichtungen erreicht insgesamt 2,4 Mio. Studierende, rund 550.000 Bedienstete sind beim adh tätig und mit 203 Mitgliedshochschulen ist fast jede zweite Hochschule in Deutschland Mitglied beim adh.

Seit 2017 kooperiert der adh mit der Techniker Krankenkasse (TK), um mehr Bewegung in den Studienalltag zu bringen. Was soll sich durch die Initiative „Bewegt studieren – Studieren bewegt! 2.0” verändern?

Felicitas Horstmann: Aufgrund des Erfolgs der ersten gemeinsamen Initiative, die von 2017 bis 2019 umgesetzt wurde, ist die zweite Runde im Jahr 2020 mit 50 bundesweit geförderten Projekten gestartet. Ziel der Initiative 2.0 ist es, nicht nur den Alltag von Studierenden bewegter zu gestalten, sondern auch das Gesundheitsmanagement an Hochschulen durch den Hochschulsport voranzutreiben. Zu diesem Zweck wird, neben den geförderten Projekten, der Hochschulsport als Akteur im Gesundheitsmanagement gestärkt und qualifiziert.

Im Juni dieses Jahres startete die Qualifizierungsreihe „Gesundheitsmanagement im und durch den Hochschulsport”, deren Ziel die Kompetenzentwicklung im Handlungsfeld Gesundheitsmanagement im Setting Hochschule ist. Mit ihr sollen vor allem die Besonderheiten des Hochschulsports im Vergleich zu anderen Akteurinnen und Akteuren der Gesundheitsförderung an Hochschulen herausgestellt und berücksichtigt werden.

Gleichzeitig hat sich der adh zum Ziel gesetzt, das Themenfeld „Gesundheitsförderung” im Verband strategisch weiterzuentwickeln, um den Hochschulsporteinrichtungen eine weitere Legitimationsebene zu eröffnen und sie politisch zu stärken.


Was sind die größten Herausforderungen bei der Implementierung eines Gesundheitsmanagements an Hochschulen?

Felicitas Horstmann: Eine der größten Herausforderungen sind die Vielfalt und Menge an Akteurinnen und Akteuren im Setting Hochschule, die zudem unterschiedliche Aufgaben und Ziele haben. So gibt es neben dem Hochschulsport weitere zentrale Einrichtungen – wie beispielsweise das Studierendenwerk oder den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) –, die beim Aufbau eines Gesundheitsmanagements beteiligt werden sollten. Es braucht Fingerspitzengefühl und ein diplomatisches Geschick, um die verschiedenen Akteurinnen und Akteure des Handlungsfeldes an einen Tisch zu holen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.

Darüber hinaus gelten Studierende, entgegen der vorherrschenden Studienlage, weiterhin als gesunde Bevölkerungsgruppe und stehen nicht im Fokus der Gesundheitspolitik. Folglich fehlt es vielerorts an den notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen, um das Studentische Gesundheitsmanagement (SGM) als Teil des hochschulischen Gesundheitsmanagements aufzubauen.


Warum lohnt sich Studentisches Gesundheitsmanagement? Was sind die Vorteile?

Felicitas Horstmann: Es gibt viele Gründe für die Implementierung eines Studentischen Gesundheitsmanagements. Bezugnehmend zur Eingangsfrage möchte ich beispielhaft die Ergebnisse einer online-basierten Querschnittsuntersuchung anführen. Die Studie wurde im Rahmen der Initiative 1.0 innerhalb des Projekts „BeTaBalance – bewegt studieren zwischen Berg und Tal” der Universität Tübingen im Jahr 2018 durchgeführt.

Untersucht wurde der Einfluss sportlicher und körperlicher Aktivität auf die akademische Leistungsfähigkeit. Die Studie zeigt, dass Studierende, die die Empfehlungen für ausdauerorientierte körperliche Aktivität erfüllen, also 150 Minuten/Woche bei moderater oder 75 Minuten/Woche bei hoher Intensität, eine höhere Funktionsfähigkeit im Studium aufweisen als Studierende, die diese Bewegungsempfehlungen nicht erfüllen. Dieser positive Effekt auf die Funktionsfähigkeit im Studium konnte sowohl für Sportaktivitäten in der Freizeit als auch für das „aktive Pendeln” mit dem Fahrrad gezeigt werden.

Darüber hinaus konnten Ergebnisse aus anderen Studien bestätigt werden: Das Aktivitätsverhalten kann einen Einfluss auf die Beschwerdewahrnehmung von Studierenden haben. So berichteten Studierende, die die ausdauerorientierten Empfehlungen erfüllen, signifikant seltener von Beschwerdeformen wie Konzentrationsbeschwerden, Niedergeschlagenheit oder Rückenschmerzen. Dies ist insofern von Bedeutung, da Beschwerden stark mit der Funktionsfähigkeit im Studium korrelieren. Folglich lassen die Studienergebnisse vermuten, dass körperliche Aktivität einen gewissen Teil des negativen Zusammenhangs zwischen Beschwerden und Funktionsfähigkeit im Studium abpuffern kann.

Da es sich bei den entscheidenden Bewegungsformen vor allem um strukturierte Sportaktivitäten handelt, deutet dies auf die Wichtigkeit des Sportverhaltens als Bewältigungs- und Erholungsmaßnahme hin.


Also kann Sport beim Studieren helfen?

Felicitas Horstmann: Ja, Sport kann einen Einfluss auf den akademischen Erfolg haben. Die Befunde des Projektteams aus Tübingen zeigen, dass Bewegung durchaus ein Baustein von vielen verschiedenen weiteren Bedingungen ist, der zu einer erfolgreichen Gestaltung des Studiums beiträgt. Bewegung ist dabei als eines der Puzzleteile mit zu berücksichtigen, wenn es um die Förderung des Studienerfolgs und die Vermeidung von Studienabbrüchen geht.

Solche empirischen Befunde, wie die der Querschnittsanalyse, die eine Verknüpfung zwischen Gesundheit, Gesundheitsverhalten und Parametern des akademischen Erfolgs darstellen, liefern wichtige Argumente. Die konsequente Verbindung der Bewegungsförderung mit akademischen Argumenten ist vor allem für die immanente Handlungslogik von Bildungseinrichtungen relevant. Bewegungsfördernde Maßnahmen im Studentischen Gesundheitsmanagement, wie sie auch vom genannten Projekt „BeTaBalance 2.0” an der Universität Tübingen angeboten werden, sind damit nicht nur über den gesundheitlichen Nutzen von körperlicher Aktivität begründbar, sondern auch durch Beziehungen zu einer erfolgreichen Gestaltung des Studiums.


Krisen können auch Chancen sein – welche Chancen sehen Sie durch die Corona-Pandemie für die Gesundheitsförderung an Hochschulen?

Julia Berschick: Die Pandemie hat als eine Art Brennglas fungiert und viele gesellschaftliche Probleme hervorgehoben. Als Gesundheitskrise hat sie deutlich gemacht, wie wichtig die eigene Gesundheit ist und welchen Stellenwert Gesundheitsförderung haben sollte. Körperliche Aktivität in diesem Zusammenhang ist eine wichtige Strategie bei der Bewältigung von Krisen und kann nachhaltig zu einer gesteigerten Resilienz beitragen. Studien zeigen beispielsweise, dass körperlich aktivere Menschen weniger unter den psychischen Folgen der Pandemie-bedingten Einschränkungen leiden.

Hinzu kommt, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unter anderem zur sozialen Vereinsamung beigetragen haben. Dieser Umstand könnte den Bewegungsmangel zusätzlich verstärkt haben, weil Anlässe und Motivation für Bewegung fehlten. Wir stehen also weiterhin großen Herausforderungen gegenüber, insbesondere was die Langzeitfolgen der Pandemie betrifft. Gesundheitsförderung sollte hierbei als Teil der Lösung verstanden werden und in allen Lebenswelten Berücksichtigung finden.


Studierende sind die potenziellen Führungskräfte von morgen. Kann es durch den Hochschulsport gelingen, deren Gesundheitskompetenz zu steigern und den Weg zu ebnen, damit Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) zukünftig selbstverständlicher und flächendeckender in der Arbeitswelt umgesetzt wird?

Julia Berschick: Auf jeden Fall! Gesundheitsförderung im Hochschulsektor hat ein über das Setting hinausgehendes Potenzial: Studierende, als zukünftige Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sowie als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eines gesundheitsorientierten Lebensstils, besitzen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen, die Kultur und Wertehaltungen. Nicht nur in Unternehmen, sondern auch in Organisationen, Schulen, Kitas oder auf kommunaler Ebene können Studierende gesundheitsförderliches Verhalten beeinflussen. Dieser Effekt wird insbesondere durch die im Hochschulsystem gemachten Erfahrungen determiniert. Gesundheitsbezogene Einstellungen können durch spezielle Angebote erweitert und gefestigt werden.

Dies zeigt sich eindrucksvoll in zahlreichen Projekten aus der Initiative 2.0. Durch Lehrmodule, Zertifizierungsprogramme, Workshopangebote und Aufklärungskampagnen werden den Studierenden an einigen Hochschulen Gesundheits- bzw. Bewegungskompetenzen vermittelt. Außerdem werden sie befähigt, selbstbestimmte Entscheidungen zur Förderung ihrer Gesundheit zu treffen und eine Teilhabe an beziehungsweise eine Mitsprache bei gesundheitsrelevanten Diskussionen, Themen und Fragestellungen einzufordern.


Was fordern Sie von der Gesundheitspolitik in der kommenden Legislaturperiode in Bezug auf Gesundheitsförderung im Setting Hochschule?

Julia Berschick: Im Juni 2019 wurde der erste Präventionsbericht (PDF) der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) veröffentlicht. Trotz des gesetzlichen Einbezugs der Lebenswelt Hochschule in das Präventionsgesetz und die Bundesrahmenempfehlungen der NPK bleiben Hochschulen im ersten Präventionsbericht weitestgehend unberücksichtigt.

In Zukunft sollten Hochschulen und der Hochschulsport nicht nur qua Gesetz, sondern vor allem auch bei der praktischen Umsetzung der nationalen Präventionsstrategie, insbesondere aufgrund ihrer wichtigen zuvor beschriebenen Funktion als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, stärker einbezogen werden. Zudem sollten Hochschulen Berücksichtigung im GKV-Leitfaden Prävention und in den Landesrahmenvereinbarungen finden. Nicht zuletzt sollte die Gruppe der jungen Erwachsenen Gegenstand der Überlegungen auf Gesundheitskongressen und beim jährlichen Präventionsforum der NPK sein, um das Potenzial derer zu entfachen, „die unser Land für seine Zukunft so sehr braucht”, wie es Bundespräsident Walter Steinmeier in seiner Rede an die Studierenden in Deutschland am 12. April 2021 treffend formuliert hat. An Argumenten für Gesundheitsförderung im Setting Hochschule mangelt es jedenfalls nicht!


Können wir uns vielleicht ein Beispiel an anderen Ländern nehmen? Falls ja, an welchen und weshalb?

Julia Berschick: Vorreiter ist definitiv die Initiative „European University for Well-Being” (EUniWell), ein Zusammenschluss verschiedener europäischer Universitäten und Partner, die einen holistischen Ansatz verfolgen und nicht nur das Individuum, sondern auch die Gesellschaft und Umwelt in den Fokus rücken. Adressiert wird hierbei das Wohlbefinden aller Hochschulangehörigen, aber auch der Gesellschaft im Allgemeinen.

Neben dem Gesundheitsverhalten einzelner Personen auch die strukturellen Bedingungen in den Blick zu nehmen und nachhaltige Veränderungen anzuschieben, ist zwar kein neuer Ansatz. Dennoch findet die Verhältnisprävention bislang wenig Beachtung in der Lebenswelt Hochschule. Hierin besteht ein großes Potenzial für die Gesundheitsförderung an Hochschulen, das es in Zukunft auszuschöpfen gilt!

Ein weiteres Beispiel ist der Active Campus Europe, ein europaweites Projekt der bewegungsorientierten Gesundheitsförderung für Studierende und Beschäftigte. Nicht zu vergessen das European Network of Academic Sport Service (ENAS), ein Netzwerk von europäischen Hochschulen, das einen Austausch und Unterstützung unter anderem zu gesundheitsbezogenen Themen und Maßnahmen ermöglicht.


Die Fragen stellten Linda Arzberger und Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.


Lesen Sie dazu auch:

Prävention und Gesundheitsförderung - Schwerpunkt Gesundheitskompetenz (HealthLiteracy). Interview mit Prof. Dr. Kevin Dadaczynski, Professor für Gesundheitskommunikation und -information an der Hochschule Fulda, und Dr. Orkan Okan, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Interdiziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung an der Universität Bielefeld.

Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Gesundheitskompetenz (HealthLiteracy). Interview mit den HLS-GER 2 – Studienleiterinnen, Prof. Dr. Doris Schaeffer und Dr. Eva-Maria Berens vom Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK) der Universität Bielefeld.

Interview zum Thema „Geschlechtersensible Prävention und Gesundheitsförderung” mit Prof. Dr. Sabine Oertelt-Prigione, Universität Bielefeld und Radboud Universität in Nijmegen (NL).

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Julia Berschick | Bewegungs- und Medienwissenschaftlerin; studentisches Vorstandsmitglied im Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband e.V. (adh); Projektkoordinatorin Studentisches Gesundheitsmanagement an der Universität Regensburg; Arbeitsschwerpunkte: strategische Weiterentwicklung des Themenfelds Gesundheitsförderung; Studentisches Engagement; Nachhaltigkeit.

Felicitas Horstmann | Sport- und Gesundheitswissenschaftlerin; Projektleiterin für Gesundheitsförderung beim Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband e.V. (adh); Arbeitsschwerpunkte: Betreuung der gemeinsamen Initiative mit der Techniker Krankenkasse „Bewegt studieren – Studieren bewegt! 2.0”; Qualifizierungsmaßnahmen Gesundheitsmanagement; Organisationsentwicklung.

Der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband e.V. (adh) ist der Dachverband der Hochschulsporteinrichtungen in Deutschland und repräsentiert 2,4 Mio. Studierende sowie 550.000 Bedienstete an seinen 203 Mitgliedshochschulen. Die Bundesgeschäftsstelle des Verbands hat ihren Sitz auf dem Campus der Hochschule Darmstadt in Dieburg.

Autor/in

Ulrike Meyer-Funke