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#21 Interview mit Joachim K. Rudolph

„Sebastian Kneipp hat den Präventionsgedanken in den Mittelpunkt gestellt”

Der Präsident des Kneipp-Bundes e.V., Joachim K. Rudolph, erläutert im BVPG-Interview wie es Sebastian Kneipp weltweit gelungen ist, Menschen in allen Lebenswelten für Prävention und Gesundheitsförderung zu begeistern, wie sich die Lehre Kneipps im 21. Jahrhundert fortschreibt und welche Aktivitäten im Jubiläumsjahr geplant sind.

Porträt Joachim Rudolph
© privat

 

Der Kneipp-Bundes e.V., 1897 gegründet, ist die größte nicht-kommerzielle Gesundheitsorganisation in Deutschland. Hierzu zählen nicht nur die rund 500 Kneipp-Vereine in allen Bundesländern, sondern auch inzwischen mehr als 700 Kitas, Schulen, Seniorenheime und andere Settings, die vom Kneipp-Bund zertifiziert sind.

Herr Rudolph, herzlichen Glückwunsch zum Jubiläumsjahr „Kneipp 2021”! Sie haben viel vor – auch die Bundesregierung beteiligt sich anlässlich des 200. Geburtstags von Sebastian Kneipp mit einer Fördersumme. Welche Aktivitäten sind deutschlandweit geplant?

Vielen Dank für die Glückwünsche! Das Interesse der Bundesregierung an unserem Jubiläumsjahr „Kneipp 2021” und die finanzielle Unterstützung empfinden wir als große Wertschätzung. Wir würdigen ja nicht nur den Pfarrer und Naturheilkundler Sebastian Kneipp, der den Präventionsgedanken in den Mittelpunkt seiner Lehre gestellt hat, sondern auch den Begründer eines anerkannten, ganzheitlichen Gesundheitskonzepts, das von der deutschen UNESCO-Kommission auf die deutsche Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde. Insofern war Sebastian Kneipp auch Visionär, der durch sein vorausschauendes Denken die Welt veränderte.

Das Jahr „Kneipp 2021 – 200. Geburtstag von Sebastian Kneipp” feiern wir mit einem bunten Strauß an Aktivitäten. Neben Mitmachaktionen für die Bürgerinnen und Bürger ist es uns ein Anliegen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf den hohen Stellenwert von Prävention und Gesundheitsförderung zu lenken.

Am 2. Mai hat unser großer Jubiläumsauftakt als Hybridveranstaltung stattgefunden. Die Aufzeichnung, inklusive der Live-Zuschaltung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und vielen VIPs, kann dauerhaft bei YouTube angeschaut werden.


Vor 200 Jahren, am 17. Mai 1821, wurde Sebastian Kneipp in Stephansried in Oberschwaben geboren.

Der Sebastian Kneipp Tag am 17. Mai ist ja schon lange im Gesundheitstage-Kalender der BZgA eingetragen und wird jedes Jahr bundesweit gefeiert.

Zum diesjährigen Jubiläum finden für die gesamte Bevölkerung deutschlandweite Aktionstage zu den fünf Elementen Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und Lebensordnung statt. Alle Termine befinden sich auf unserer Jubiläumswebseite – www.kneipp2021.de.

Weiterhin wird eine von der Charité durchgeführte Studie zur Kneippschen Hydrotherapie gefördert. Die Ergebnisse werden im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposiums am 30. Oktober vorgestellt und diskutiert.

Für Schülerinnen und Schüler im Alter von 10 bis 16 veranstalten wir einen bundesweiten Kreativ-Wettbewerb, die „Kneipp-Challenge”. Hier geht es um die eigenen Gesundheitsstrategien und Verhaltensregeln in Zeiten der Pandemie. Beteiligen können sich Schulklassen, aber auch einzelne.

Und schließlich beginnen wir mit der Umsetzung eines lang ersehnten Vorhabens – der Erstellung eines digitalen und interaktiven online-Verzeichnisses aller Kneipp-Anlagen in Deutschland.


Wie hat es der Pfarrer Sebastian Kneipp erreicht, weltweit Menschen in allen Lebensphasen und in allen Gesellschaftsschichten bis heute für Prävention und Gesundheitsförderung zu begeistern und zu „Kneippianerinnen und Kneippianern” zu machen?

Sebastian Kneipp war ein Menschenfreund und „ein Mann des Volkes”. Er kam selber aus sehr ärmlichen Verhältnissen, war aber dennoch fest entschlossen, seinen Traum, Pfarrer zu werden, umzusetzen. Hierfür hat er hart gearbeitet und musste dabei auch schwere Rückschläge überwinden. Entsprechend seines Leitspruchs „Gesundheit für alle” hat er sich Zeit seines Lebens besonders auch für die ärmeren Menschen eingesetzt und seine Lehre stetig weiterentwickelt.

Die Basis hierfür bildet ein niedrigschwelliges Gesundheitskonzept. Als Wohltäter gründete er in Bad Wörishofen die Kneippschen Stiftungen und in seinen vielen Vortragsreisen fesselte er mit seiner einfachen, aus dem Herzen kommenden Sprache. In Folge kam es zur verstärkten Gründung von Kneipp-Vereinen. Er reiste aber auch durch ganz Europa, wobei ihn Schätzungen zufolge ca. eine Million Zuschauer erlebt haben sollen. So wurde er bis in die USA hin berühmt.


Die Kneippschen Naturheilverfahren messen sich auch an der heutigen Wissenschaft: Vor Kurzem wurde ein systematischer Review der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirkung der Kneipp-Therapie in Auftrag gegeben.

Lassen Sie mich gleich zu Beginn betonen: Die wissenschaftliche Erkenntnislage zur Wirkung der Kneipp-Therapie ist in manchen Bereichen noch lückenhaft. Während es zu den Elementen Heilpflanzen (Phytotherapie), Bewegung (Physiotherapie) und zunehmend auch zur Lebensordnung (Ordnungstherapie/Mind-Body-Medizin) schon einiges an Forschung gibt – zum Teil sind diese Elemente ja auch schon in die konventionelle Medizin integriert – mangelt es vor allem an Studien zur Hydrotherapie. Nebenbei bemerkt – es gibt rund 120 verschiedene Wasseranwendungen! Die meisten dieser Studien sind durch Stiftungsprofessuren erfolgt, dies kann und darf aber kein Dauerzustand sein.

Vor allem nicht angesichts der Zunahme an lebensstilbedingten, chronischen Erkrankungen und, ganz aktuell, der zu bewältigenden gesundheitlichen Langzeitfolgen der Pandemie. Wir verbinden daher unser Jubiläumsjahr mit dem Appell an die Bundesregierung, in der kommenden Legislaturperiode einen Etat für die weitere Erforschung dieser Methoden bereitzustellen.


Worum geht es bei der geplanten Studie?

Bei der geplanten Studie handelt es sich um eine wissenschaftliche Übersichtsarbeit, ein Review, der Charité-Universitätsmedizin, die den aktuellen Forschungsstand zur Kneippschen Hydrotherapie zusammenfasst. Die Erkenntnisse sollen dieses Jahr im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht und bei unserem wissenschaftlichen Symposium am 30. Oktober in Berlin im breiteren Kreis diskutiert werden. Wir wollen hiermit auch zeigen, wie lohnend es ist, in die Erforschung der klassischen Naturheilverfahren als Beitrag zu Prävention und Gesundheitsförderung zu investieren.


Wie gelingt es, die Lehre Sebastian Kneipps und die Kneippschen Naturheilverfahren aktuell zu halten und an heutige Lebensweisen und Ansprüche anzupassen? Und, noch weitergedacht: Wo sehen Sie die Kneippsche naturkundliche Gesundheitslehre in der Zukunft?

Die Kneippsche Gesundheitslehre wurde stetig auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterentwickelt. Auch wenn unsere Wurzeln in der Traditionellen Europäischen Medizin liegen, sind sie heute unverzichtbarer Bestandteil einer modernen Medizin. Unser Ansatz basiert auf dem Prinzip der Salutogenese, unsere Angebote sind niedrigschwellig. Sie setzen sehr stark auf die Verantwortung jedes Einzelnen, regelmäßig etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Gesund bleiben heißt auch „aktiv bleiben”. Auch die vielen Angebote unseres Aus- und Weiterbildungsinstituts Sebastian-Kneipp-Akademie spiegeln die aktuellen Entwicklungen wider – bei uns gibt es keinen Stillstand.

Die Kneippschen Naturheilverfahren leisten daher einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Und das nicht nur in Deutschland. Wir sind ja auch über die Grenzen hinaus aktiv, so beispielsweise im europäischen Umfeld, aber auch in Asien, Südkorea und China, und vereinzelt auch in Nord- und Südamerika. Hier versucht sich unsere internationale Konföderation Kneipp Worldwide auch verstärkt in die Diskussion über „Globale Gesundheit” mit einzubringen.

In Zeiten der Pandemie ist eine Stärkung des Immunsystems besonders wichtig. Am besten also gleich mit dem Kneippen anfangen. Wie lautet Ihr persönlicher Praxistipp für unsere Leserinnen und Leser?

Abhärtung, gesunde Ernährung, Bewegung und eine gesunde Tagesstruktur sind wichtige Faktoren zur Stärkung des Immunsystems. Für mich persönlich gehört die morgendliche kalte Dusche zum Start in den Tag. Entscheidend ist, dass man seine Lieblingsanwendung auch wirklich jeden Tag betreibt. Auf die Regelmäßigkeit und die gesunde Balance kommt es an.


Die Fragen stellte Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.


Lesen Sie dazu auch:

Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Health in All Policies. Interview mit Prof. Dr. Ilona Kickbusch.

Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Health in All Policies. Interview mit Dr. Katharina Böhm, Geschäftsführerin der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAGE).

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Joachim K. Rudolph | Dipl.-Oec., Joachim K. Rudolph begann seine „Kneipp-Karriere” 1993 im Vorstand im Kneipp-Verein Berlin und ab 1994 als 2. Vorsitzender beim neugegründeten Landesverband Berlin-Brandenburg. 2008 gründete er den eigenen Kneipp-Verein Niederbarnim in Bernau, dem er bis heute vorsitzt. Außerdem ist er Geschäftsführer der Kneipp-Kita Spandau. Seit Oktober 2009 gehört Joachim Rudolph als Vizepräsident dem Bundespräsidium an. Anfang 2021 übernahm er das Präsidentenamt des Kneipp-Bundes e.V. für den ausgeschiedenen Klaus Holetschek, MdL.

Die Kneipp-Bund e.V. ist mit seinen rund 500 Kneipp-Vereinen und 700 zertifizierten Einrichtungen die größte private deutsche Gesundheitsorganisation. Seit 1897 setzt sich der Dachverband für einen gesunden und naturverbundenen Lebensstil ein und erreicht insbesondere durch das ehrenamtliche Engagement der Kneipp-Vereine rund 200.000 Menschen, die regelmäßig mit den Kneippschen Naturheilverfahren in Berührung kommen. Im Dezember 2015 wurde das „Kneippen als traditionelles Wissen und Praxis nach der Lehre Sebastian Kneipps” von der Deutschen UNESCO Kommission in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.